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Die Hochwasserkatastrophe in Tunesien im Herbst 1969

Die wohl schlimmste Hochwasserkatastrophe in Tunesien ereignete sich 1969. Ungewöhnlich hohe Niederschlagssummen verursachten im Herbst 1969 in Tunesien mehrere Hochwasserwellen, deren bisher kaum gekanntes Ausmaß größte Schäden hervorrief. Dies führte in Folge zu über 500 Toten und rund 100.000 Obdachlosen. Häuser wurden zerstört, Verkehrs- und Transportwege (Straßen, Eisenbahndämme, Brücken und Furtwege) unterbrochen, die Bergbau-Industrie lahmgelegt sowie die Wasser- und Energieversorgung weiter Landstriche unterbrochen. Kurzlink: https://www.kashba.de/i.

Diese Schäden überstiegen die Möglichkeiten des tunesischen Staates zu einer raschen Hilfe, so dass zahlreiche Hilfsmaßnahmen des Auslandes eingeleitet werden mußten. Aus Deutschland beteiligten sich im Oktober 1969 sieben Bundeswehr-Hubschrauber an einer Luftbrücke zur Versorgung der von Wassermassen eingeschlossenen Bevölkerung im Landesinnern. Transportflugzeuge schaffen zudem Hunderte von Zelten in die Landeshauptstadt Tunis. Auch das Technische Hilfswerk war 1969 zur Soforthilfe und 1970 zur Wiederaufbauhilfe sowie erste Ausbildungsmaßnahmen für eigene tunesische Kräfte vorort.

Die Überschwemmungsgebiete verteilten sich von Norden nach Süden über das östliche Tunesien (Sahel) vom Medjerda-Tal bis zur Oase Gabes. Während Überschwemmungen in flachen Talbereichen (z. B. der Medjerda) nicht ungewöhnlich sind und zu den natürlichen Auffangbecken gehören, zeigte es sich im Herbst 1969, dass weite Randebenen von hohen Flutwellen überflossen sein müssen.

Die Folge hiervon war beispielsweise, daß die Stadt Kairouan vom 26.09. bis 29.09. völlig von der Außenwelt abgeschnitten war, ein Vorgang, der sich am 06.10. nochmals für kurze Zeit wiederholte. Die Sebkhas (abflusslose, auch zeitweise trockenfallende Binnenseen) und Endseen (z. B. Kelbia im Kairouaner Becken) vergrößerten ihre Fläche beträchtlich. Der See Kelbia schaffte sich einen Ausfluß in Richtung Mittelmeer mit reißender Strömung und Zerstörung aller auf dem Weg liegenden Hauptstraßen und Brücken. Dieser Strom, der über einige Monate Bestand hatte, bahnte sich ein neues Flussbett bis hin nach Hergla (nördlich Chatt Meriam, Port El Kantaoui). Ein ähnliches Ereignis hatte es aber bereits schon 1932 gegeben, als sich das Kelbia-Becken ins Meer leerte.

Die Hochwasserkatastrophe in Tunesien im Herbst 1969

Mit Ausnahme der Überschwemmung im Medjerdatal, besonders oberhalb des Mündungsdeltas, sowie in den Küstenbereichen im Hinterland von Bizerte, am Golf von Tunis, Hammamet und Gabes waren also die hohen Flutwellen auf den flachgeneigten Fußebenen der Gebirgsketten und Bergketten ein kennzeichnendes Merkmal. Fatalerweise befinden sich in genau diesen Regionen die Hauptflächen des tuneischen Getreideanbaus. Durch die Flutströme wurde nahezu die komplette Aussaat zerstört und von Sediment- und Sandschichten sowie Geröll bedeckt.

Meteorologisch-klimatische Situation der Katastrophe

Hervorgerufen wurde die Katastrophe durch das Eindringen großer Mengen polarer Kaltluft von Westen her, die im Verlaufe des 23.09 und 24.09. bis zum Golf von Gabes vordringen konnte. Eigentlich keine ungewöhnliche Situation im nordafrikanischen Wettergeschehen am Ende des Sommers. Diese Kaltluft traf jedoch auf sehr trockene und warme Luftmassen, die aus der Sahara kamen und über dem Syrtenbereich vor Libyen und Tunesien lagen. Im Kontaktbereich beider Luftmassen über der Syrte fand eine enorme Feuchtigkeitsaufnahme statt und gewaltige Massen mit Feuchtgkeit gesättigter Luft konnten Richtung Festland ziehen, wo sie in abnormen Niederschlägen abregneten.

Die Hochwasserkatastrophe in Tunesien im Herbst 1969

Diese Wetterlage war recht stabil und hielt sich vom 28. September über mehrere Tage bis hin zum 5. Oktober. In Folge dehnte sich der normalerweise kurzfristige Starkregen über mehrere Tage aus und führte zu den hohen Niederschlagssummen Ende September und Anfang Oktober. Solche Ostwetterlagen, auch “Chergui”-Lagen genannt, gehören eigentlich zum typischen Wettergeschehen Tunesiens gegen Ende des Sommers, führen allerdings normalerweise nicht zu solchen außergewöhnlichen Niederschlagssummen.

Die Hochwasserkatastrophe in Tunesien im Herbst 1969

Aufgrund des hohen Feuchtigkeitnachschubs aus der Syrte kam es mehrfach zu Starkregen und verschiedenen Flutwellen sowohl in Zentraltunesien als auch im Küstenbereich:
Am 25. bis 27. September, am 6. und 7. Oktober, am 22. Oktober, am 26. und 27. Oktober sowie schließlich am 29. und 30. Oktober 1969, wobei die erste vom September die größte und gefährlichste war.

Die Hochwasserkatastrophe in Tunesien im Herbst 1969

Nach einer langen sommerlichen Hitze und Trockenheit setzte am 24. und 25. September plötzlich außergewöhnlich konzentrierter Starkregen mit heftigen Gewittern ein. Er breitete sich auf die gesamte Sahelregion, das Steppentiefland und die zentraltunesische Hochfläche aus. In drei Tagen fielen Regenmengen von 200-300 mm, lokal sogar noch mehr. Bei fast allen Messstationen wurde innerhalb dieser drei Tage die Hälfte der gesamten Jahresregenmenge erreicht. Richtung Süden wurde an einigen Stationen sogar das Jahresmittel fast erreicht: El Djem maß 218 mm Niederschlag in 24 Std. (Jahresmittel: 275 mm) und die Station Domaine Saint Louis setzte mit 225 mm ein neues absolutes Tagesmaxima in dieser Region.

Während im September die Niederschläge ausschließlich bei ” Chergui-Lagen ” (vgl. oben) fielen, setzte im Oktober zusätzlich die Nordwestströmung ein, so daß auch der Norden stärkere Regenfälle verzeichnete. Für einige repräsentative Stationen werden hier die Septemberregen und Oktoberregen 1969 im Vergleich mit den langjährigen Mitteln wiedergegeben: Es ist sehr schwer, die tatsächlich auftretenden Flutmassen zahlenmäßig zu erfassen. Es kann sich dabei nur um überschlägige Berechnungen handeln, nicht um Messungen, da sofort die meisten Pegel zerstört wurden. Eine Gegenüberstellung der beiden wichtigsten (gefährlichsten) Flutbringer im Kairouaner Becken (Oued Zeroud und Oued Marguellil) mit theoretisch berechneten maximalen Abflußspenden und der aufgetretenen Wassermengen am 25.-27.9. gibt jedoch einen Hinweis auf die Bedeutung dieser Flutkatastrophe: Hieraus geht hervor, daß die Septemberhochwasser in Tunesien über ein bisher erwartetes ” Jahrhundert-Hochwasser ” entschieden hinausgegangen sind. Entsprechend waren die Auswirkungen.

Quelle & Fotos: HORST MENSCHING, KLAUS GIESSNER, GUENTHER STUCKMANN STEINER VERLAG WIESBADEN 1970, 58. JAHRGANG, HEFT 2, AUGUST 1970, S. 81-89 korpora.zim.uni-due.de

Titelbild/Screenshot: filmothek.bundesarchiv.de