Santorini: Fragen und Antworten zum Erdbebenschwarm
Rund um Santorini wird seit dem 24. Januar eine Häufung schwacher bis mittelstarker Erdbeben verzeichnet. Die seismische Aktivität konzentriert sich auf den Bereich zwischen den Inseln Santorini und Amorgos, mit einem Zentrum rund 25 km nordöstlich von Santorini. Das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und das GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung Potsdam ordnen die aktuellen Ereignisse in acht Fragen & Antworten ein. Nach den tagelangen Erdbeben hat die griechische Regierung nun den Notstand für die Insel Santorini ausgerufen.
1. Was ist die Ursache der vielen Erdbeben nahe der Vulkaninsel Santorini?
Zwischen Santorini, dem Unterwasser-Vulkan Kolumbo und Amorgos treten seit mehr als zehn Tagen viele Erdbeben zwischen 4 und 10 Kilometern Tiefe auf. Die Stärke der Beben erreicht bisher Magnitude 5 oder knapp drüber. Die Aktivität hat mit schwachen Beben unter Santorini begonnen und ist in den letzten Tagen in Richtung Nordosten entlang einer von Südwest nach Nordost verlaufenden krustalen Schwächezone gewandert.
Solche Erdbebenschwärme sind unter aktiven Vulkansystemen nicht selten und wurden auch unter Santorini und Kolumbo immer wieder beobachtet (Bohnhoff et al. 2006). Eine mögliche Ursache sind vulkanische Aktivitäten, das heißt, glutflüssiges Gestein oder andere Fluide steigen in der Erdkruste nach oben. Eine andere Möglichkeit sind Bewegungen von Erdplatten, die zu Spannungen im Gestein und plötzlichem Entladen dieser Spannungen und damit zu Erdbeben führen können.
Auch eine Kombination ist denkbar: Einzelne Segmente der Ägäischen Erdplatte in der Region um Santorini bewegen sich um wenige Millimeter voneinander weg. Das führt zu einer Dehnung und Ausdünnung der Erdkruste, in etwa so, als ob man einen zähen Teig auseinanderzieht, der dann in der Mitte dünner wird. Dort, wo die Kruste sich dehnt, können Fluide und Magmen aufsteigen.
2. Kann man diese Erdbeben vorhersagen?
Wann so ein Erdbebenschwarm entsteht, kann nicht vorhergesagt werden. Es gibt insbesondere bei vulkanischen Bebenschwärmen Vorläuferphänomene. Wir untersuchen derzeit die zeitliche Entwicklung und begleitende Veränderungen des Erdbebenschwarms wie z.B. Hebungen oder Senkungen.
3. Kann man einen Vulkanausbruch vorhersagen?
Auch einen Vulkanausbruch kann man nicht vorhersagen. Allerdings gibt es, anders als bei Erdbeben, bei Vulkanausbrüchen häufig deutliche Vorläuferphänomene. Dazu zählen Bodenhebungen und Schwarmbeben, die sich vor einem Ausbruch verstärken und Richtung Erdoberfläche bzw. Meeresboden wandern. Bisher ist die Datenlage noch nicht ausreichend, um von einem unmittelbar bevorstehenden Ausbruch zu warnen. Dennoch sind die Warnhinweise, etwa Steilküsten zu vermeiden, richtig und wichtig.
4. Was könnte bei einem Ausbruch oder einem großen Beben wie dem von 1956 passieren?
Im Juli 1956 ereigneten sich zwei Beben mit Magnituden von über 7 in der nun seismisch aktiven Region. Eines davon trat in der oberen Erdkruste auf und verursachte einen lokalen Tsunami mit Wellenhöhen von bis zu 22 Metern auf der Insel Amorgos. Die Beben richteten in der Region große Schäden an. 50 Menschen starben.
In der jetzigen Erdbebenserie sehen wir deutlich schwächere Beben. Die Bruchzone von 1956 hat aufgrund der geringen Verschiebungsraten noch nicht wieder ausreichend Energie aufgestaut, aber Bewegungen an weiteren bisher nicht aktiven Bruchzonen können nicht ausgeschlossen werden.
Sollte es heute zu einem vergleichbaren Erdbeben wie 1956 oder einem Vulkanausbruch (der letzte größere Ausbruch des Kolumbo-Vulkans ereignete sich 1650) kommen, wären aufgrund der dichteren Besiedlung stärkere Auswirkungen zu erwarten: Starke Bodenerschütterungen könnten Gebäude beschädigen oder einstürzen lassen, insbesondere ältere Bauten oder solche, die nicht erdbebensicher konstruiert wurden. Tsunamis könnten Küs-tenregionen treffen und zu Überflutungen führen – nicht nur auf Santorini, sondern auch auf benachbarten Inseln und dem griechischen Festland. Es könnte auch zu submarinen Hangrutschungen der Caldera kommen.
5. Steht ein Vulkanausbruch auf Santorini bevor?
Der Bereich unmittelbar unterhalb des Santorini-Vulkans ist aktuell seismisch ruhig. Dort kam es zuletzt 2011 zu einer ähnlichen seismischen Aktivität wie nun weiter nordöstlich mit sehr flachen Beben bis in 1 bis 2 Kilometern Tiefe. Es kam allerdings nicht zu einem Ausbruch.
6. Wie groß ist das Risiko eines Tsunamis dort?
Rund 80 Prozent der Tsunamis entstehen durch starke Erdbeben, die den Meeresboden heben oder senken – aufgrund der tektonischen Gegebenheiten können auch im Mittelmeerraum Tsunamis auftreten.
Auch ein Vulkanausbruch in der Region, etwa des Santorin-Vulkans, könnte einen Tsunami auslösen – sei es durch unterseeische Explosionen oder Hangrutschungen unter Wasser.
Vulkanische Prozesse können zudem Erdrutsche an Land oder unter Wasser verursachen. Dadurch könnten große Wassermassen verdrängt und Tsunamis ausgelöst werden.
Die griechischen Behörden sowie internationale Forschende beobachten die Lage sehr genau. Wir können einen Tsunami ebenso wenig ausschließen wie ein schwereres Erdbeben. Die Wahrscheinlichkeit ist aber nach wie vor gering.
7. Wie überwacht man solche gefährdeten Regionen?
Dank moderner Überwachungssysteme lassen sich seismische Aktivitäten und vulkanische Prozesse heute gut beobachten. Der griechische Erdbebendienst betreibt in der Region ein dichtes Messnetz, dass auch kleine Erdbeben erfasst.
GEOMAR, GFZ und weitere Partner haben im Rahmen des MULTIMAREX-Projekts einen Krisenreaktionseinsatz, eine so genannte Rapid Response Mission, gestartet. Gemeinsam mit unseren griechischen Partnern (Laboratory of Physical Geography, University of Athens) sind wir vor Ort, um zusätzliche Messinstrumente am Meeresboden und in der Caldera von Santorini zu installieren und die seismische Aktivität zu überwachen.
Ziel des Monitorings ist es, die Anzahl, den Ort und die Stärke der Erdbeben präzise zu erfassen und exakt zu quantifizieren. In den kommenden Tagen werden wir erkennen können, ob sich der zuletzt beobachtete Anstieg der Magnituden und die Intensität der Erdbebensequenz fortsetzt oder abklingt.
8. Welche Maßnahmen sind nötig, um die Bevölkerung zu schützen?
Solange die Erdbebenaktivität anhält, besteht insbesondere an steilen Küstenabschnitten ein erhöhtes Risiko für Hangrutschungen. Menschen sollten sich daher nicht an den Stränden und Steilküsten aufhalten. Sehr starke Erdbeben – deutlich intensiver als die bisher registrierten – könnten zudem Tsunamiwellen auslösen. Aktuell gibt es keine Messungen, die auf Erdbeben von dieser Stärke hinweisen.
Die griechischen Behörden senden Warnhinweise in mehreren Sprachen mit Verhaltensregeln und Schutzmaßnahmen via Cell Broadcast direkt an Mobilgeräte. Dafür muss der Empfang von Notfallbenachrichtigungen aktiviert sein.
Info: Santorin ist eine Insel der Kykladen im Ägäischen Meer. Durch einen Vulkanausbruch im 16. Jahrhundert v. Chr. wurde die Insel verwüstet. Dabei wurde die heutige zerklüftete Landschaft geformt. Die weißen, würfelförmigen Häuser der beiden Hauptorte Fira und Oia schmiegen sich an die Hänge der Steilküste oberhalb einer unterseeischen Caldera (Krater). Von dort aus bietet sich ein Blick auf das Meer, kleine Inseln im Westen sowie Strände aus schwarzen, roten und weißen Lavasteinchen.
Titelbild (Aussicht vom Berg Profitis auf Santorin und die Caldera): Holger Uwe Schmitt – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0
Quelle: Iinformationsdienst Wissenschaft (IDW)