This Day in History: 1978-12-30
Schneekatastrophe in Norddeutschland 1978/1979: Ein Schneesturm in Norddeutschland zur Jahreswende 1978/1979 von außergewöhnlichem Ausmaß führt zu einer Situation, die als Katastrophenfall bezeichnet wurde. Die Situation dauerte bis zum 3. Januar 1979 an. 17 Menschen sterben, Schäden in Höhe von 140 Mio DM entstehen. (Bild: Von Gasch, Georg (1928-) – Stadtarchiv Kiel, CC BY-SA 3.0 de)
Über Weihnachten herrschte in ganz Deutschland Tauwetter, das den Schnee schmelzen ließ. Zum Jahreswechsel 1978/79 erlebte der Norden Deutschlands einen Wintereinbruch, dessen Ausmaße zunächst nicht abzusehen waren. Ende Dezember 1978 verschärften sich die Temperaturdifferenzen in Europa; ein stabiles Hochdruckgebiet aus Skandinavien und ein Tiefdruckgebiet aus dem Rheinland stießen über der Ostsee zusammen. Luft aus Hochdruckgebieten strömt generell in Gebiete mit Niedrigdruck; ein massiver Kälteeinbruch begann.
An der Rückseite des Tiefdruckgebiets strömte vom Atlantik milde Luft nach Frankreich und Süddeutschland; über Nordrussland und Nordskandinavien herrschten verbreitet Temperaturen von unter –30 °C. Über der südlichen Ostsee bildete sich eine scharfe Luftmassengrenze aus. Während es am 28. Dezember 1978 auf der Insel Rügen stark zu schneien begann, wurden in Freiburg noch 15 °C plus gemessen. Innerhalb weniger Stunden fielen die Temperaturen um 20 °C. Der Temperaturunterschied am 28. Dezember war extrem: –47 °C in der schwedischen Provinz Norrland begegneten der mitteleuropäischen Warmluft mit ihrer relativen Luftfeuchte von über 90 Prozent. Am 31. Dezember 1978 wurden in Ust-Schtschuger im russischen Uralvorland im Nordosten des Kontinents −58,1 °C gemessen, die bisher tiefste registrierte Temperatur in Europa. Bedingt durch die starken Luftdruckgegensätze wehte der Nordostwind mit Sturmstärke.
Das extreme Wetter begann am 28. Dezember 1978, als es im nördlichen Teil Schleswig-Holsteins im Laufe des Nachmittages zu schneien begann, während es südlich davon noch stark regnete. Während der Nacht wurde aus dem zunächst dichten Schneegestöber, das nach und nach das ganze Land überzog, ein ausgewachsener Schneesturm, der mit bis zu Windstärke 10 wütete und fünf Tage andauerte. Die Ostsee vor Sassnitz fror innerhalb weniger Stunden vollständig zu, gleichzeitig gab es ein Ostseesturmhochwasser. In Ostholstein wurden Schneehöhen bis 70 cm verzeichnet.
Folgen
Die Folgen waren gravierend. Meterhohe Schneeverwehungen brachten den Straßen- und Eisenbahnverkehr zum Erliegen; viele Ortschaften und auch die ganze Insel Rügen, auf der ein Eisenbahnzug mehr als 48 Stunden im Schnee eingeschlossen war, waren von der Außenwelt abgeschnitten. Eine Versorgung der Einwohner aus der Luft war wegen des starken Sturmes vorerst nicht möglich. Erst nach mehreren Tagen konnten die wichtigsten Verkehrswege notdürftig befahren werden.
Vielerorts fielen Strom und Telefonnetze aus, da sich bis zu 30 cm dicke Eispanzer um die Leitungen legten und viele Strom- und Telefonmasten unter dem Gewicht zusammenbrachen. Räumfahrzeuge der Gemeinden konnten die Schneemassen nicht mehr bewältigen, sodass die Bundeswehr bzw. die Nationale Volksarmee und die hier stationierte Sowjetarmee mit Panzern eingesetzt wurden, um zumindest liegengebliebene Fahrzeuge und Züge zu erreichen. Ebenso waren die Inseln nicht mehr erreichbar und auf sich selbst gestellt. Kleinviehbestände gingen zugrunde, der Ausfall örtlicher Bäckereien führte zu Brotmangel. Neben den Hilfsorganisationen kämpften auch Stromversorger und Bundespost bzw. Deutsche Post mit den Schneemassen, um Strom- und Telefonleitungen wieder in Betrieb zu nehmen.
Funkamateure helfen bei der Kommunikation
Eine Koordinierung der Hilfe war anfangs nicht möglich, da eine Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Hilfsorganisationen, Armee, Stromversorgern und Post nie geplant worden war: Es gab keine gemeinsamen Funkfrequenzen, auf denen man hätte kommunizieren können. Zudem waren anfangs die Telefonleitungen unterbrochen, sodass man verbreitet vor Ort von den üblichen Kommandostrukturen abgeschnitten und auf Eigeninitiative angewiesen war. Wo technischer Sachverstand bestand, wurden Funk- und Radiogeräte manipuliert, um das Kommunikationsproblem zu lösen. Die Bundeswehr stationierte eilends ausgerüstete Funkpanzer der Fernmeldetruppe als Relaisstationen im Katastrophengebiet. Die Bundespost bat ihre Mitarbeiter im Verband der Funkamateure der Deutschen Bundespost (VFDB) um Hilfe. Funkamateure aus Schleswig-Holstein und Umgebung nahmen den Notfunkbetrieb auf und ermöglichten so eine Koordination der Hilfskräfte untereinander. Auch Fahrzeuge der Rettungsdienste konnten auf den zugeschneiten Straßen nicht mehr verkehren; die Bundeswehr setzte ihre geländegängigen Sanitätskraftwagen ein und übernahm den zivilen Rettungsbetrieb nahezu komplett. Teils wurden eingemottete Fahrzeuge aus Bundeswehrdepots aktiviert. Wegen des herrschenden „Kalten Krieges“ war die Bundeswehr damals deutlich größer als heute; sie war ebenso wie die NVA auch zwischen Weihnachten und Neujahr einsatzbereit und darauf vorbereitet, Truppen und technisches Gerät schnell zu mobilisieren.
In Hamburg kam es tagelang zu erheblichen Verkehrsproblemen − so mussten etwa im Januar und erneut im Februar 1979 die Züge der elektrischen Hamburger S-Bahn zum Teil von Diesellokomotiven gezogen werden, da die Stromschienen vereist bzw. zugeschneit waren. Die Bundeswehr setzte Ersatzbusse ein und half beim Freilegen der Schienenwege.
DDR lässt sich 500 Bohrhämmer vom Otto Versand liefern
In der DDR führte die Vereisung der Oberleitungen der Kohlenbahnen zur Unterbrechung des Braunkohletransports im Lausitzer Braunkohlerevier. Da der Strom in der DDR zu 75 % aus Braunkohle erzeugt wurde und die Vorratsbunker der Kraftwerke nur geringe Reserven boten, brachen innerhalb von 24 Stunden große Teile der Strom- und Fernwärmeversorgung zusammen. Durch den hohen Wassergehalt gefror die Braunkohle in den stehenden Bahnwaggons und ein Auskippen war nicht mehr möglich. Die Regierung der DDR schickte Tausende Arbeitskräfte mit Handwerkzeugen in die Lausitz, um die vereisten Kohleklumpen aus den Waggons zu lösen. Einen entscheidenden Fortschritt machten diese Arbeiten erst, als die DDR-Regierung sich entschloss, notwendige Werkzeuge, egal woher, zu besorgen. So wurden u. a. vom westdeutschen Otto-Versand innerhalb eines Tages 500 Bohrhämmer in die DDR geliefert, die erfolgreich eingesetzt werden konnten.
In der Bundesrepublik starben 17 Menschen. Die Schäden betrugen 140 Millionen D-Mark. In der DDR brach die Energieversorgung für zwei Tage teilweise zusammen. Hier starben mindestens fünf Menschen, und die ostdeutsche Wirtschaft hatte Jahre an den Folgen des Winters 1978/79 zu tragen.
Durch den Nordost-Sturm bekamen die Hafenstädte Flensburg, Eckernförde, Kiel, Lübeck, Wismar und Rostock zusätzlich große Hochwasserprobleme, die darin gipfelten, dass sich mehr und mehr Eisschollen in den Häfen übereinander stapelten und den Schiffsverkehr völlig zum Erliegen brachten. Die hafennahen Straßen waren von Eis bedeckt, Autos teilweise bis zur Türkante im Eis eingefroren.
In Nordfriesland wurden Soldaten und Ausrüstung des Aufklärungsgeschwaders 52 aus Leck zur Räumung der Bundesstraßen B 5 und B 199 eingesetzt; vorrangig um die Straßenverbindung zum Kreiskrankenhaus in Niebüll frei zu halten. Das Geschwader stellte auch für Zivilpersonen Unterkünfte in der General-Thomsen-Kaserne in der Gemeinde Stadum zur Verfügung.
In Nordfriesland kamen Panzer aus Bayern zum Einsatz, um die Straßen freizuräumen. Dieses gelang ihnen jedoch nur schlecht; vielerorts blieben die Panzer stecken. Viele Bauern auf dem Land litten unter dem Stromausfall und der eisigen Kälte. Sehr viele Kühe konnten nicht maschinell gemolken werden. Die gemolkene Milch musste zum Teil weggeschüttet werden, da sie nicht abgeholt werden konnte.